Warum es den Rentnern so gut geht

Arbeitnehmer und insbesondere Arbeitgeber überweisen mehr Geld in die berufliche Vorsorge als in die AHV, obschon der versicherte Lohn in der 2. Säule limitiert ist.

Von Claude Chatelain

Über die Rentnerinnen und Rentner schreibt der Chefredaktor der «NZZ am Sonntag»: «Sie leben von einem stattlichen Polster, dürsten nach der 13. Idee für die nächste Reise, aber sicher nicht nach der 13. Rente.»

Weshalb geht es der grossen Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner derart gut, dass sie angeblich nach der 13. Idee für die nächste Reise dürstet? Einer der Gründe - neben den Erbschaften - ist die 2. Säule: 2022 betrug die durchschnittliche Pensionskassenrente 2353 Franken im Monat; die durchschnittliche monatliche AHV-Rente dagegen nur 1875 Franken.

Das allein sagt aber noch nicht viel aus. Der Umstand, dass AHV-Renten plafoniert sind, hingegen die Pensionskassenrenten häufig ein Mehrfaches einer AHV-Rente ausmachen, relativiert den Vergleich von Durchschnittswerten. Zudem hinkt der Zahlenvergleich auch deshalb, weil sich immer mehr Personen das Kapital der 2. Säule auszahlen lassen. 2022 waren es 56 Prozent der Neurentner, die das Kapital voll oder teilweise bezogen haben.  Nur 44 Prozent setzten voll auf die Rente.

Man muss auch wissen, dass insgesamt höhere Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge in die 2. Säule überwiesen werden als in die 1. Säule, obschon die AHV-Beiträge auf dem vollen Lohn und nicht nur auf dem versicherten Lohn berechnet werden. Mehr noch: Ein grosser Teil der Beiträge für die 2. Säule geschieht freiwillig und sorgt dafür, dass die berufliche Vorsorge deutlich mehr einschenkt als die solidarisch finanzierte AHV.

Genaue Zahlen über Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge sind nicht erhältlich. Bekannt ist aber, dass in der 1. Säule die Beiträge der Versicherten und Arbeitgebenden im Jahr 2022 gut 36 Milliarden Franken betrugen. Bekannt ist ebenfalls, dass sich im gleichen Jahr die reglementarischen Leistungen in der 2. Säule auf gut 53 Milliarden beliefen. Wobei hier die Arbeitgebenden deutlich mehr einzahlten als die aktiv Versicherten, nämlich 31 gegenüber 22 Milliarden Franken.

Wie stark die obligatorischen Leistungen zu Buche schlagen, geht aus der Pensionskassenstatistik nicht hervor. So oder so: Es sind die freiwilligen Beiträge im überobligatorischen Bereich, die dafür sorgen, dass insgesamt mehr in die berufliche Vorsorge fliesst als in die AHV. Die Gründe sind naheliegend: Die Arbeitgebervertreter in den Stiftungsräten sind faktisch Arbeitnehmer, profitieren also unmittelbar von grosszügigen Leistungen ihrer Pensionskasse, nicht zuletzt auch dank höherer Steuerabzüge.

Kein Wunder, dass nun die Idee kursiert, Lohnprozente von der 2. Säule in die 1. Säule umzulenken. Denn zur Finanzierung der 13. AHV-Rente bräuchte es «nur» 0,4 Prozent Lohnprozente, die je von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beizusteuern wären.  Wer solche Ideen streut, hat wohl die langwierige Debatte zur BVG-Revision verpasst: Hier nur soviel: Um die längst fällige Senkung des Umwandlungssatzes aufzufangen, müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Sparprozess verstärken und für die Übergangsgeneration Rentenzuschläge finanzieren: Kostenpunkt: durchschnittlich 2,1 Milliarden Franken während 15 Jahren.