BVG-Reform auf der Kippe
Von Beat Schmid
Bei den Bürgerlichen ist die Ratlosigkeit nach dem letzten Abstimmungssonntag gross. Ja, wir hätten einen besseren Abstimmungskampf führen können. Ja, vielleicht wäre ein Gegenvorschlag sinnvoll gewesen. Und ja, vermutlich hat sich die Bevölkerung nach Corona einfach daran gewöhnt, dass der Staat schnell ein paar Milliarden locker machen kann.
Auch die Grossbanken mussten als Sündenböcke für das überraschende Ja zur 13. AHV-Rente hinhalten. Wenn der Staat mit Hunderten von Milliarden den Verkauf der Credit Suisse garantiert, warum kann er dann nicht vier bis fünf Milliarden für die Rentnerinnen und Rentner springen lassen?
Die bürgerlichen Parteien haben die Stimmung völlig falsch eingeschätzt und mit ihnen die meisten grossen Medien des Landes, die von einer «Sensation» sprachen. Laut dem Politgeografen Michael Herrmann könnte die Abstimmung über die 13. AHV-Rente sogar eine politische Zeitenwende einläuten.
Ob in der Schweiz mit der AHV-Abstimmung tatsächlich ein Schalter in der Sozialpolitik umgelegt wurde, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Entscheidend wird der Urnengang im kommenden Herbst sein. Dann ist die Bevölkerung aufgerufen, über die Reform der zweiten Säule zu befinden, gegen die das Referendum ergriffen wurde.
Im Kern geht es um die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent. Angesichts der demografischen Entwicklung spricht vieles für eine Anpassung der Renten an die längere Lebenserwartung. Doch mit reinen Vernunftargumenten gewinnt man in der Politik keine Abstimmungen.
Die eigentliche Sensation des letzten Abstimmungssonntags war, dass eine Mehrheit der Stimmbevölkerung in der bürgerlich-liberalen Schweiz plötzlich kein Problem mehr mit mehr Umverteilung von Reich zu Arm hatte. Ob eine Mehrheit auch die Umverteilung von Jung zu Alt weiter ausbauen will, was bei einer Ablehnung der BVG-Reform der Fall wäre, ist noch nicht ausgemacht.
Die Befürworter der Reform wären allerdings schlecht beraten, wenn sie zu sehr auf die Karte des Generationenvertrags setzten. Vielen Älteren ist nicht entgangen, dass die Jungen in den letzten Jahren grosse Erleichterungen genossen haben – Mutterschaftsurlaub, Papizeit, immer grosszügigere Steuerabzüge für die familienergänzende Kinderbetreuung, Prämienverbilligungen.
Da sich an der aktuellen Ausgangslage bis zur Abstimmung im Herbst nichts ändern wird, sind die Wirtschaftsverbände und die bürgerlichen Parteien gefordert. Sie müssen den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die BVG-Reform und die damit verbundene Renteneinbusse für die kleinen und mittleren Einkommen schmackhaft machen. Dafür sind sie nicht zu beneiden.