Das heutige Rentenmodell ist aus der Zeit gefallen

Zumindest in der AHV sollen Hinterlassenenrenten für kinderlose Witwen und Witwer abgeschafft werden. In der zweiten Säule (noch) nicht.

Von Claude Chatelain

Es ist nicht für alle nachvollziehbar, dass kinderlose Frauen beim Tod ihres Mannes Anspruch auf eine Witwenrente haben. Gewiss, bei der Einführung der AHV 1948 war das noch anders. Doch die Zeiten ändern sich.

Wohl gibt es auch heute noch kinderlose Frauen, die keinem Erwerb nachgehen und vom Einkommen des Ehegatten abhängig sind. Doch warum soll die Allgemeinheit solidarisch für die finanzielle Absicherung von Personen aufkommen, die einem Erwerb nachkommen könnten, aber aus welchen Gründen auch immer darauf verzichten?

Diese Frage stellt sich Bundesbern nicht erst seit gestern. Schon mit der 11. AHV-Revision wären Hinterlassenenrenten für kinderlose Witwen abschafft worden. Das Schweizer Volk wollte davon nichts wissen und schmetterte die Vorlage am 16. Mai 2004 ab. Nur Witwen mit Kindern unter 18 oder unter 25 Jahren in Ausbildung hätten Anspruch auf eine Rente gehabt. Und kinderlose Witwen hätten mit gewissen Einschränkungen immer noch eine einmalige Entschädigung in der Höhe einer Jahres-Witwenrente erhalten.

Nun, über zwanzig Jahre später startet der Bundesrat erneut einen Anlauf, die aus der Zeit gefallenen Hinterlassenenleistungen anzupassen. So sollen Mütter oder Väter nur Hinterlassenenrenten erhalten, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt geworden ist. Für Verheiratete oder Geschiedene, die Kinder hatten, ist eine Übergangsrente vorgesehen. Ausgenommen von der Reform sind Witwen und Witwer, die bei Inkrafttreten 55 Jahre als sind.

Das Modell entspricht in etwa dem, was der Souverän im Mai 2004 abgelehnt hatte. Die «Soziale Sicherheit» vom Februar 2004 schrieb damals: «Hinterlassenenleistungen sind nur auszurichten, wenn und solange sie tatsächlich nötig sind».

Damals ging es also ausdrücklich darum, die Sozialversicherungsleistungen dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen. Diesmal geht es in erster Linie darum, Witwen und Witwer gleichzustellen, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Ungleichbehandlung der Geschlechter als diskriminierend deklarierte.

Das gilt aber nur für die AHV. Die zweite Säule ist von der Reform nicht betroffen, «da in diesem Bereich keine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen besteht», schrieb der Bundesrat im Oktober 2024 bei der Veröffentlichung der Botschaft.

Das heisst, in der zweiten Säule werden weiterhin auch Witwen ohne Kinder Anspruch auf eine Hinterlassenenrente haben. Bedingung: Sie sind beim Tod des Gatten 45 Jahre alt und seit mindestens fünf Jahren verheiratet. Damit nicht genug: Selbst geschiedene Frauen kommen beim Tod ihres Ex-Gatten bei gewissen Bedingungen in den Genuss von Hinterlassenenleistungen.

Merke: In der ersten Säule würden kinderlose Witwen keine Witwenrente mehr erhalten; in der zweiten Säule hingegen schon. Ist das wirklich sinnvoll?

Noch gibts eine andere Differenz zwischen den beiden Säulen: Neu sollen AHV-Renten unabhängig vom Zivilstand an die hinterlassene Mutter oder den hinterlassenen Vater ausbezahlt werden, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt geworden ist. Immer unter der Bedingung, dass der bundesrätliche Vorschlag auch umgesetzt wird.

Auch Pensionskassen kennen die Konkubinatsrente; aber nur im überobligatorischen Teil. Auch hier: In der AHV ist die Konkubinatsrente obligatorisch; in der zweiten Säule bleibt sie überobligatorisch. Nicht wirklich ein stringentes Regelwerk.