Sozialpolitischer Angriff auf die Ehe

Die einen sprechen von Heiratsstrafe; die anderen vom Heiratsbonus. Nun soll beides abgeschafft werden. Das würde vieles vereinfachen.

Von Claude Chatelain

25. September 2022. War da was? Es war der Tag, an dem Schweizerinnen und Schweizer für ein höheres Frauenrentenalter stimmten. Das äusserst knappe Zufallsmehr von 50,5 Ja-Stimmen überraschte angesichts der grosszügigen Übergangsbestimmungen.

Die Gewerkschaften bekämpften die Vorlage mit dem Slogan «Keine Sparvorlage auf dem Buckel der Frauen». Und die Bürgerlichen befürworteten die Anpassung des Rentenalters nicht in erster Linie wegen der Gleichberechtigung, sondern wegen der Finanzierungslücke.

Dank der Zustimmung des Volkes sei die Finanzierung der AHV bis 2030 gesichert, schrieb der Bundesrat nach dem knapp gewonnen Abstimmungskampf. Geschätzte Einsparung pro Jahr: 1,4 Milliarden Franken.

Kaum war die Sparvorlage im Trockenen, forderte die Mittepartei die Aufhebung der Plafonierung für AHV-Renten. Was bei Frauen eingespart wird, soll für verheiratete Rentnerpaare wieder ausgegeben werden. Rund 3,6 Milliarden Franken pro Jahr wird das kosten. So viel Skrupel muss man haben.

Ende März 2024 war es soweit: Die Volksinitiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare - Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen», wurde eingereicht.

Heute erhalten verheiratete Rentnerpaare höchstens 150 statt 200 Prozent einer Maximalrente. Bei Konkubinatspaaren wird die Rente nicht gekürzt. Das sei ungerecht, finden die Initianten. Da haben sie recht. In einer Gesamtbetrachtung jedoch haben sie unrecht.

«Die Initiative entspringt einer sehr selektiven Optik», schreibt der Verein Pro Single Schweiz. Es werde ein einzelnes Element herausgepickt, das die Initianten als unfair bezeichnen, «die übrigen mit der Ehe verknüpften Bevorteilungen werden ausgeblendet.»

Das führt uns zu einer anderen Baustelle. Wie in der Kolumne vom 17. Juni 2025 beschrieben, sollen Mütter und Väter nach den Vorstellungen des Bundesrats nur Hinterlassenenrenten erhalten, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt geworden ist. Witwenrenten für kinderlose Ehefrauen gäbe es dann nicht mehr.

Die vorberatende Kommission des Nationalrats (SGK-N) will nun noch weiter gehen und beantragt, die Vorlage des Bundesrats zu ergänzen und sie der umstrittenen Initiative als indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen: Damit würde nicht nur die sogenannte Heiratsstrafe abgeschafft, eben die Plafonierung der AHV-Renten, sondern auch die zahlreichen Vorteile, eben der Heiratsbonus. Das heisst:

- nur noch Hinterlassenenrenten bis zum 25. Altersjahr des jüngsten Kindes

- keinen Verwitwetenzuschlag

- keine Beitragsbefreiung nichterwerbstätiger Ehegatten

- keine neuen Alterskinderrenten in der AHV und der beruflichen Vorsorge.

Das nennt man zivilstandsunabhängige AHV. Die Ehe würde durch solche Massnahmen zwar nicht abgeschafft; aber sie verlöre ohne Zweifel ihren Stellenwert. Viele heiraten nur deshalb, um sich finanziell abzusichern. Das würde immer weniger der Fall sein.

Der Konjunktiv ist geboten: Der Kommissionsentscheid ist mit 13 zu 12 Stimmen äusserst knapp ausgefallen.

Und noch etwas: Am 17. September 2025 ist im Nationalrat die Volksinitiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare - Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen» traktandiert.

Der Wortlaut ist fast der gleiche, wie bei der eben besprochenen Initiative. Hier gehts aber nicht um die AHV-Renten, sondern um die Bundessteuern und somit um die mögliche Einführung der Individualbesteuerung.

Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung zivilstandsunabhängiger Regelung. Fehlte nur noch das Erbrecht und die Besteuerung von Erbschaften.