Warum Zeit kostbarer ist als Geld

Oft höre ich von älteren Menschen, dass es ihnen schwerfällt, ihr Erspartes auszugeben. Über viele Jahre hinweg haben sie Vermögen aufgebaut. Sparen war Teil ihrer Identität. Der Gedanke, dieses Geld im Alter aufzubrauchen, macht vielen Angst. Dabei wird oft vergessen: Wer immer nur wartet und das Leben auf später verschiebt, verpasst am Ende das Wichtigste.

Von Helga Baechler 

Der Autor Bill Perkins stellt diese Denkweise in seinem Buch Die with Zero infrage. Seine zentrale Botschaft lautet: Zeit ist kostbarer als Geld. Geld lässt sich vermehren, unsere Lebenszeit aber ist begrenzt. Deshalb plädiert er dafür, das Leben nicht aufzuschieben, sondern den richtigen Moment bewusst zu nutzen. Und dieser Moment ist nicht „irgendwann“, sondern jetzt. Nicht alles lässt sich nachholen. Manche Erlebnisse, Reisen oder Gespräche passen nur in eine bestimmte Lebensphase. Wer immer nur wartet, verpasst Chancen. Manche Gelegenheiten kommen kein zweites Mal.

Das Ziel ist nicht, mit einem vollen Konto zu sterben.
Am Ende bleiben nicht die Zahlen auf dem Konto, sondern die Erinnerungen. Sie machen uns zu dem, was wir sind, verbinden uns mit anderen und geben dem Leben Sinn. Erlebnisse lassen sich nicht beliebig verschieben. Irgendwann ist es zu spät dafür. Erinnerungen erzählen unsere Geschichte, verbinden uns mit anderen und machen unser Leben reicher. Jede Erfahrung zahlt eine emotionale „Erinnerungsdividende“. Je früher wir etwas erleben, desto länger können wir davon zehren.

Geld ist Energie und soll Erlebnisse schaffen, Nähe fördern und Erinnerungen kreieren. Ein Konto, das nie genutzt wird, ist wie ein Liebesbrief, der nie gelesen wurde.

Perkins stellt auch das klassische Verständnis von Erben infrage. Nicht das Erbe stiftet Sinn, sondern das bewusste Schenken. Es geht nicht nur ums Geld, sondern um den richtigen Zeitpunkt, die Wirkung und die gemeinsame Erfahrung. Viele Menschen sparen, um „etwas hinterlassen zu können“. Wer den Kapitalaufbau nur als Mittel zum Vererben sieht, lebt oft ein eingeschränktes Leben. Vielleicht wäre es sinnvoller, das eigene Leben aktiv zu gestalten und nur das zu vererben, was am Ende übrig bleibt. Nur bleibt die Frage, wie und ob das punktgenau geplant werden kann?

Geld ist ein Werkzeug, kein Lebensziel. Es schafft Sicherheit, aber nicht automatisch Sinn. Sein eigentlicher Zweck ist es, dabei zu helfen, das Leben bewusst und gut zu gestalten. Wirklich wertvoll wird Geld erst dann, wenn wir es für das einsetzen, was im Leben zählt. Der Fokus sollte nicht auf endlosem Sparen liegen, sondern auf einem erfüllten Leben. Aber immer noch mit einer guten Prise Sicherheit.

Aber am Ende unseres Lebens zählen nicht die Summen auf dem Konto, sondern die Geschichten, die wir erzählen können.  Sie sind das eigentliche Erbe.